„Ich bin kein Indierock-Pedant“, b-side Interview, Sommer 2005

b-side, Heft 18, Sommer 2005 enthielt dieses sehr lange Interview mit Paul. b-side war laut eigener Aussage ein „INDIEPOPSCENEZINE“ und berichtete mehrmals im Jahr über Bands, wie sie auch in Paul’s Sendungen zu hören sind.

Ausgabe #18/2005 zum Beispiel hatte Artikel über Mercury Rev, The Soda Stream, The National, The Go-Betweens, Kettcar, Potion, Koufax, Jeans Team, And You Will Know Us By The Trail Of Dead, The Wedding Present, Ashby, The Panics, Cosmic Casino, dazu ein Bericht über Rock aus Glasgow und knapp 50 Plattenkritiken. Sehr empfehlenswert also…aber leider Ende 2006 eingestellt. Schade!

b-side Mehr Info auf www.b-si.de.

Vielen Dank an die Macher von b-side für die Erlaubnis des „Nachdrucks“

Ich bin kein Indierock-Pedant!

Interview mit Paul Baskerville.

Paul Baskerville ist wohl einer der bekanntesten Radio-Moderatoren Deutschlands. Bereits seit 20 Jahren moderiert er in Hamburg ansprechende, im weiteren Sinne Indie-Musik-Sendungen.

Seit Herbst 2004 allerdings darf er aus vertragsrechtlichen Gründen nicht mehr beim NDR senden. Die Hoffung besteht, dass er nach einem Jahr Pause wieder anfangen darf.

Paul stellt sich im Interview als ein überaus sympathischer und freundlicher Zeitgenosse dar, der ein abwechslungsreiches Leben hinter sich hat, in dem die Musik schon früh eine entscheidende Rolle gespielt hat.Mehrere Jahrzehnte Musikgeschichte hat er miterlebt.

Wer seine Sendungen gehört hat, weiß, dass er viele aufschlussreiche, amüsante und persönliche Anekdoten erzählt hat und viel Hintergrunwissen vermittelt. Seine Interviews gehören zu den spannendsten, die es gibt.

Der Radio-DJ ist humorvoll, lacht gern und viel. Seine Stimme ist eines seiner „Markenzeichen“. Er spricht zwar perfekt Deutsch, aber seinen englischen Akzent hat er nicht abgelegt – und das ist auch gut so! In ihm steckt ein besonderer Charme. Paul ist offen und locker. Er bestätigt das: „Ich habe so eine Art, ziemlich schnell vertraut zu werden mit Fremden, es sei denn jemand ist mir sehr feindselig gegenüber.“

Das Interview dauerte kurzweilige 2,5 Stunden. Bereits nach einer Stunde sagt er: „Du wirst Tage brauchen, das alles abzuhören. Ich rede schon seit einer Stunde… du brauchst auch nur die eine Seite zu hören, den Rest löscht Du.“ (lacht) Zum Abschied bedankt er sich, dass er so viel reden durfte.

72STECKBRIEF
Name:
Baskerville
Vorname: Paul
Geburtsjahr: 1961
Geburtsort: Manchester, England
Staatsbürgerschaft: britisch
Wohnhaft in: Hamburg
Familienstand: verheiratet
Kinder: Ein Sohn (geb. 1989), Eine Tochter (geb. 2005)
Haustiere: Eine alte Katze
Beruf: Radiomoderator, z.Zt. quasi arbeitslos. Beim Deustchlandfunk (DLF) kann man ab und an eine Sendung von Paul hören. Seit einiger Zeit schreibt er auch unregelmäßig in der Kolumne Lauschangriff für die Wochenzeitung „Freitag“ („die linksgerichtetste Zeitung, wogegen die taz noch CDU ist. Es ist kein großer Aufwand und macht Spaß“). Für Arte hat er Filme über die Manchester- und die schwedische Musikszene produziert.

SEIN LEBEN UND SEINEN WERDEGANG STELLT PAUL FOLGENDERMASSEN DAR:
Meine Eltern kamen so richtig aus der Arbeiterklasse, aber unsere Wohngegend war nicht schlecht. Ich habe eine ganz anständige Kindheit gehabt. Ich ging auf das selbe Gymnasium wie lan Brown. Aber er hat eine ganz niedrige Meinung von der Schule. Er meint, das sei so eine gewalttätige Schule gewesen. Vielleicht hat er mal eins auf die Fresse gekriegt, also ich nicht. (lacht)

Ich hatte vor, englische Literatur und Philosophie zu studieren und auch schon einen Studienplatz in Kent. Dann habe ich das um ein Jahr verschoben. Aber eigentlich ahnte ich, dass ich es nicht machen würde. Ich habe das auch gemacht, um meine Eltern zu beruhigen.
In der heutigen Zeit bist du ohne Studium nichts. Zu dem Zeitpunkt war das noch nicht so. Es gab relativ viele Leute, die eher einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen haben.

Ich hatte im Prinzip gar keinen Plan, in Hamburg zu bleiben. Es war eher Zufall. Es gibt so viele Komponenten im Leben, privat und beruflich. Wenn ich zum Beispiel hier nie eine Freundin und auch nie einen Job bekommen hätte, wäre ich mit Sicherheit auch nicht hier geblieben. Das Leben hat mir einfach ziemlich schnell gut gefallen. Das war so 1981. Ich hatte einige Jobs hier. Erst habe ich bei Libri, diesem Bücherverlag, dann bei Karstadt gearbeitet, wo ich auch Sportartikel, Sonnenbrillen und Bilderrahmen verkauft habe. (lacht) Ich habe früh angefangen, mich für
Musik zu interessieren. The Who habe ich gesehen, als ich 14 war.
Über einen Holländer, den ich im Zug nach England kennen gelernt habe, hab ich einen Job bei einem Musikverlag bekommen. Ich musste mit einem Koffer zum Funkhaus laufen, an die Tür bei jedem Redakteur klopfen und die Singles und Alben rumreichen. Ich war für Hamburg und Köln zuständig und habe den NDR, WDR und DLF betreut. Es war überhaupt nicht mein Ding. Ich musste ganz schreckliche Sachen promoten, natürlich. Zum Teil waren es aber auch gute Sachen.

Der eine Typ beim DLF fand es interessant, dass ich aus Manchester komme, und fragte mich: Willst du nicht mit mir zusammen eine Sendung machen? Über die Manchester-Musikszene. Ich habe so ein Manuskript geschrieben und das abgelesen im Studio. Das war meine erste Sendung überhaupt.

Und dann war ich irgendwann in der Kantine beim NDR und Klaus Wellershaus hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, „Musik für junge Leute“ zu moderieren. Er suchte gerade Nachwuchs. Ich hatte allerdings mit ihm auch schon so eine Musiksendung gemacht. Da war ich quasi sein Studiogast. Als ich 1982 anfing mit „Musik für junge Leute“, war das meine erste richtige Sendung. Da habe ich mein erstes regelmäßiges Geld verdient. Als ich anfing Radio zu machen, bin ich dafür kritisiert worden, dass mein Deutsch so grottenschlecht ist. Klaus Wellershaus musste sich ab und zu für mich einsetzen. Im ersten Jahr gab es aber auch
Leute, die ganz angetan waren von meiner Sendung.

In den folgenden Jahren moderierte er beim NDR unter anderem „Kopfhörer“, „No Wave“ und zuletzt „Offbeat“.

ÜBER MANCHESTER SAGT ER:
Dass ich aus Manchester weggegangen bin, hat mit Sicherheit auch mit dem grimmigen Charakter der Stadt zu tun. Es hat sich ganz schön was getan in den letzten 20 Jahren. Es gab ein paar interessante Bands und es war immer eine große Fußballstadt. Aber es war nicht so, dass man hier den Rest seines Lebens bleiben wollte. Ich war sehr positiv beeindruckt von nordeuropäischen Städten, weil die so wohlhabend aussahen. Aber trotzdem hatte Hamburg irgendwie eine gewisse Bodenständigkeit durch den Hafen und den Kiez. Von Manchester, das so ärmlich aussah, hatte ich die Schnauze voll. Ich fand das alles so furchtbar versifft.

Die Stadt hat heute eigentlich, denkt man, die selben Vorteile wie London, aber ohne die Nachteile. Es ist überschaubar, du kannst alles zu Fuß abklappern, du musst nicht immer mit der Bahn fahren. Ich denke trotzdem, dass die Leute übertreiben. Gerade die Hamburger sind tierisch verwöhnt mit ihrem Kiez und ihrer Schanze und so. Und es nützt ihnen auch nichts, dass die ganzen Bands daher kommen. Es ist nicht, als ob du gleich eine Verabredung hättest mit Badly Drawn Boy.

73DIE DEUTSCHE SPRACHE UND DAS LAND:
Ich konnte noch kein Deutsch als ich herkam, aber ich habe mich sehr schnell damit beschäftigt. Ich hatte eine deutsche Freundin, die selber kein Englisch konnte. Da ging es ratzfatz. Am Anfang hatte ich im Prinzip gar keinen Kontakt zu Engländern. Das hat mir sicherlich dazu verholfen, mich intensiver mit der Sprache auseinander zusetzen.

Eigentlich bin ich überall fremd. Wenn ich in England bin, bin ich eigentlich ein Ausländer, und wenn ich hier bin, auch. Ich bin ein bisschen heimatlos. Das klingt jetzt sehr weinerlich. (lacht) Da ist aber was dran. Ich betrachte meine Landsmänner in England durch die Augen eines Deutschen.

Ganz selten habe ich deutsche Musik gespielt im Radio. Es gibt ein paar Bands, die mich sehr interessiert haben, wie Blumfeld, Kettcar und Tomte. Ich hab eigentlich versucht, die Kultur aus meiner Heimat hier zu vermarkten. Okay, viele skandinavische Sachen auch. Das ist aber auch so anglophil. Amerikanische Sachen eigentlich sehr wenig im Vergleich.

PAUL ÜBERS RADIOMACHEN:
Kann man vom Radiomachen leben?

Da gibt es einen großen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und Privat-Sendern. Beim NDR haben wir ganz viel verdient. Im Grunde ist es auch berechtigt, es sind handgemachte Sendungen. Ich muss die Sendung komplett alleine zusammenstellen und recherchieren über die Bands.

Ich habe kein normales Arbeitsleben in dem Sinne. Jedes Mal, wenn ich eine CD einlege, ist das Arbeit. Ich hab mir immer schon Mühe gegeben. Für mich war und ist es ganz wichtig rauszukriegen, welches Stück ist das beste auf der Platte. Natürlich ist das Geschmackslache und subjektiv, aber für mich gibt es nur meine Meinung in dem Moment. Wichtig für mich ist eigentlich nur, dass es weiterhin wirklich gute Songs gibt. Ohne die guten Songs bin ich verloren.

Wenn ich in einem Studio sitze, fühl ich mich sehr zuhause. Der Vorteil am Radiomachen ist, dass es so intim ist. Ich habe keine Hemmungen und kann sehr natürlich sein. Du kannst im Radio auch schlecht drauf oder total deprimiert sein, mit Schnupfen hingehen, und eine Sendung machen, die dazu passt. Nicht jede Sendung kann eine richtig gute Sendung sein. Aber wenn ich das Gefühl habe, das habe ich gut gemacht, dann lob ich mich ein bisschen selbst. (lacht) Schon als Kind, wenn ich eine Platte toll fand, hatte ich das Bedürfnis, das allen Leuten zu sagen. Ich habe versucht, das meiner Mutter zu sagen, teilweise. (lacht)
In der „taz“ hast du 1992 gesagt: „Ohne Sendung würde ich alt aussehen“…
Habe ich damals ein bisschen pathetisch gesagt. Jetzt bin ich ohne Sendung. Im Grunde hat sich so viel für mich nicht verändert in dieser Auszeit. Mein Alltag besteht immer noch aus Musikhören, Interviewsmachen. Nur, dass ich die Sendung nicht mache. Es ist schon ein wesentlicher Unterschied, aber es ist nicht, als ob ich mein Leben umgekrempelt hätte.

Es war mir wichtig, dass so viele Mails wegen meiner Sperre gekommen sind. Ich habe mich gefragt: Ich bin 44, kann ich das in alle Ewigkeit so weitermachen? Die Mails waren eine sehr schöne Bestätigung. Ich hätte nicht gedacht, dass man mich so vermissen würde.

In Deutschland gibt es kein gesundes Mittelfeld. Es gibt entweder Radio Hamburg oder Sunday Service (FSK). Aber es gibt eine ganze Welt dazwischen. Redaktionen wie Nachtclub beim NDR gelten als die spezielle Redaktion und sind nicht Teil eines Mehrheitenprogramms. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es irgendwann Indierock-Sender geben würde. Aber auch englisches Radio ist nicht so toll, wie manche Leute denken. Es gab John Peel, der durfte ganz spät am Abend machen, was er wollte. Bis 22 Uhr ist alles streng durchstrukturiert.

ZU AKTUELLER MUSIK:
Gerade Leute in meinem Alter beklagen sich, dass die heutige Gitarrenmusik nicht neu sei. Das ist eigentlich eine Frage der Perspektive. Ich höre Musik natürlich mit ganz anderen Ohren als jemand, der 20 oder 15 ist. Bei jeder neuen Band ist ein bisschen was neu. Es gibt so die Idee, dass Popkultur Jugendkultur ist. Ich schneide mir vielleicht ins eigene Fleisch, wenn ich das jetzt sage, aber da ist was dran, was diese frische Herangehensweise betrifft. Das heißt nicht, dass man keine Musik mehr hören darf, wenn man älter ist, man kann auch Musik von jungen Bands hören, nur man wird nie wieder ganz so vorurteilsfrei und unbelastet sein. Es gibt so viele Beispiele. Als Gene angefangen haben, wurden sie mit The Smiths verglichen, Oasis mit den Beatles. Irgendwann sind diese Vergleiche hinfällig. Jede Band braucht ein bisschen Zeit, um sich zu etablieren, damit die Leute sich an sie gewöhnen können.

PAUL ÜBER SICH SELBST:
Ist Musik oder Radio dein Leben?

Ja, schon. Es ist meine Haupttätigkeit gewesen. Ich habe sehr jung angefangen. Die ganzen Bands, die ich interviewt habe, waren so alt wie ich. Eines der ersten Interviews, das ich gemacht habe, war mit The Cure 1981. So Kult bis zum Gehtnichtmehr. Als ich Robert Smith interviewt habe, habe ich überhaupt nichts dabei empfunden, von wegen Ehrfurcht. Wenn ich z.B. Pete Townshend persönlich kennen gelernt hätte, hätte ich das wahrscheinlich gar nicht geschafft, so nervös wäre ich gewesen. Leute in meinem Alter sind eben in meinem Alter, da gibt es nicht diese Hierarchie. Da ändert es nicht, dass sie berühmter und reicher sind als ich. Doch meist ist das in der Anfangsphase gewesen, wo sie selber kein Geld hatten. Nach dem ersten Konzert von U2 in Hamburg habe ich mit der Band gequatscht. Larry und Bono waren ganz aufgeregt, weil ich in Deutschland eine eigene Wohnung hatte. Die fanden, ich hätte es ganz weit gebracht. (lacht)

Ich habe einen ganz guten Instinkt oder Riecher für Musik. Mehr ist das nicht. Und ich interessiere mich für die wahrhaftige Kunst. Diese ganze Indiegeschichte ist mir immer noch wichtig. Das heißt nicht, dass ich Bands nicht spiele, die Platten bei großen Konzernen gemacht haben. Es ist wichtig, aus welchem Umfeld sie kommen und welchen Hintergrund sie haben. Ich finde es komisch, als der Indierock-Typ zu gelten… eigentlich bin ich es ja doch. (lacht) Ich habe eigentlich ziemlich zurückgezogen gelebt. Ich war nie besonders szenig. Im Grunde habe ich immer Bands gespielt, von denen ich dachte, niemand in Deutschland interessiert sich für die. Ich bin kein Indierock-Pedant oder der Typ, der sagt, je obskurer desto besser. Ich habe mich nie unter Druck gefühlt, mehr Elektro zu spielen. Ich bin so alt, wie ich bin, und ich stehe dazu und ich mag was ich mag, und ich bin nicht bereit, mich umzustellen. Ich find es ja ganz nett, manchmal mit John Peel verglichen zu werden. In Wirklichkeit bin ich nicht halb so vielseitig wie er. Er ist immer unterstützt und gefeiert worden. Hierzulande darf man sich möglichst nicht abheben. Mich hat man höchstens geduldet. Ich bin nicht wirklich prominent, ich hab einen undefinierbaren Status. Die Sendung beim NDR war umstritten und ich auch, letztendlich ist aber alles von der Programmleitung abgesegnet worden. Ich war beim NDR nicht der aufsässige Typ, der den ganzen Laden niederbrennen wollte. (lacht) Manchmal hab ich schon so was Unangepasstes, Bockiges gehabt, so ein bisschen gegen alles, Sich-nicht-anpassen-wollen, eigene Spielregeln erfinden.
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Komischerweise möchte man glauben, dass ich ganz viele Musikerfreunde haben müsste. Eigentlich war es doch meistens ein Arbeitsverhältnis. Wenn ich nach England fahre, besuche ich meine Mutter, nicht irgendwelche Bands.

ANDERE HOBBYS:
Ich lese gerne. Mein Lieblingsschriftsteller momentan ist Graham Swift.
Ich abonniere den NME, seit ich 14 bin. Spex lese ich nicht, würde ich nie tun. Und ich gucke viel englischen Fußball im englischen Fernsehen. Ich war früher Manchester-United-Fan. Inzwischen bekenne ich mich zu keiner Mannschaft mehr. Man kann nicht Indiefan sein und den HSV mögen. Wenn jemand das sagen würde, würde ich das besser und origineller finden als diese St. Pauli/Indie-Geschichte.
INTERVIEW: MARIKA BÖHM, FOTOS: FLORIT

Lieblings-B-Seiten?
1. The Smiths „Back To The Old House“, B-Seite von „What Differente Does lt Make“ 2. „The Masterplan“ von Oasis, B-Seite von „Wonderwall“

Internet: www.offbeat-baskerville.de (keine offizielle Website, nicht immer aktuell, wird von einem Fan namens Hilmar Kraft gemacht)