Am 13.08.2000 war Paul Baskerville Gast in der Sendung “On The Tracks” auf Radio Bremen 2. In dieser wöchentlichen Sendung dürfen bekannte Gäste zwei Stunden lang ihre eigene Musik auflegen und dazu interessantes aus ihrem Leben oder über die gespielte Musik äussern. Dadurch ergibt sich stets ein sehr persönlicher, oft autobiographischer Einblick in das Leben der jeweiligen Gäste. So auch in Paul Baskerville´s Sendung, in der er über seine Jugend in Manchester berichtete. Eine einfache Playlist an dieser Stelle würde dieser besonderen Sendung nicht gerecht werden, daher habe ich mich entschlossen, die gesamte Sendung hier in voller Länge wiederzugeben.
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On The Tracks
Paul Baskerville über seine Jugend
im Manchester der siebziger Jahre.
Sendung beginnt mit “Sunrise” von New Order
“Manchester hat seit ca. 25 Jahren eine interessante Musikszene. New Order ist eine der bekanntesten Bands aus der Stadt.
Ich wurde 1961 geboren und kann mich nicht daran erinnern, von den Manchester-Bands der Zeit beeindruckt gewesen zu sein. Es gab Herman’s Hermits, Freddie & The Dreamers und The Hollies. Die Bee Gees Gibbs Brüder wurden zwar in Manchester geboren, aber sie wanderten schon als Kinder mit ihren Eltern nach Australien aus. Angeblich sind sie noch stolz auf ihre Manchester-Herkunft, aber The Bee Gees gilt nicht als eine Manchester-Gruppe.
Es ist völlig klar daß die Liverpooler Szene in den sechziger Jahren viel mehr Bedeutung hatte. Ich war noch zu klein, um zu wissen was bedeutend oder unbedeutend war. Ich weiß noch wie Freddie von Freddie & The Dreamers am Ende eines Auftritts im Fernsehen seine Hose runterließ und die Nation war vom Anblick seiner Unterhosen schockiert. Es war einer der ersten Schritte in der Geschichte der Rock’n’Roll Schock-Taktik und scheint im Nachhinein sehr harmlos zu sein.
Mein Interesse an Popmusik fing mit Glamrock an, Sweet, Mud, Suzi Quatro, Gary Glitter war perfekte Musik für Kinder, weil sie so infantil war. Die künstlerische Qualität war dennoch beeindruckend. Als erstens hatten sie oft sehr gute Songs, von denen viele von den Komponisten Chinn & Chapman komponiert wurden und zweitens hatten all diese Künstler einen eigenen Sound und eine starke, eigene Identität.”
Paul spielt Suzi Quatro – “Can The Can” – 1973
“Ich hatte ein Suzi Quatro Plakat an der Wand. Ich war auch verknallt in Suzi Quatro, aber nur weil sie in ihren Lederklamotten so jungenhaft aussah. Zu dem Zeitpunkt mochte ich das nicht, wenn Frauen zu weiblich waren – weiblich sein war uncool.
Zwei der Glamrock-Künstler hatten ihre eigenen Songs und mehr Tiefgang als die anderen: David Bowie und Marc Bolan. Ich hatte ein T-Rex Plakat an meiner Schlafzimmerwand, aber kein Bowie Plakat. Also war mir T-Rex wichtiger.”
Paul spielt T-Rex – “Jeepster”, 1971
“So wie die Leute die 10 Jahre älter als ich waren einen Song wie “Satisfaction” als Kindheitshymne hatten, war “Jeepster” meine erste Hymne obwohl es ein Liebeslied und vom Inhaltlichen her für mein Alter völlig ungeeignet war. Marc Bolan war einerseits der halbstarke Rock ’n Roller mit den großen heldenhaften Gesten, aber er war ein femininer Typ. In dem Alter fühlte ich mich unbewußt von der puren Aggression von Typen wie Jimi Hendrix und Led Zeppelin überfordert. Marc Bolan war wie eine zensierte sensible Kinderausgabe des echten Rocks.
Aus Versehen lernte ich seine Hippie-Vergangenheit kennen. Bei Woolworth’s fand ich ein Doppel-Album in der Billig-Kiste von der ersten Inkarnation seiner Band die damals Tyrannosaurus Rex hieß. Ich hoffte auf den modernen Sound aber stattdessen mußte ich mich mit Bolan’s Hippie-Geschwafel beschäftigen. Er hatte zuviel Tolkien gelesen. Und später lernte ich das Album richtig kennen und lieben. Es war ungewollt mein erstes Progressive-Rock-Album und hieß „A Beard of Stars & Unicorn“”.
Paul spielt Tyrannosaurus Rex – “Prelude” / “Adaye Laye”, 1970
“Die Band die mir am allermeisten bedeutete war The Who. Ich weiß nicht wie alt ich war als ich The Who zum ersten Mal hörte, aber ich weiß wo es war, und auch welcher Song. Ich war mit meinen Eltern auf einem Rummelplatz bei der Achterbahn. Es war im nordenglischen Urlaubsort Southport. Als ich den Song hörte, war ich zwar begeistert, aber es war als ob es mir noch nicht zustand, The Who zu diesem Zeitpunkt kennenzulernen. Ich wußte nicht, wie das Lied hieß, und auch nicht welche Band es war. Das erfuhr ich erst später, aber der anonyme Song blieb deutlich in meiner Erinnerung. Als ich Jahre später die Platte bekam war es wie eine Rückführung ins vergangene Leben, als ich das Lied wieder hörte. Es war einer der weniger bekannten Who-Songs, eine kleinere Hit-Single die auf keinem Album erschien und war deshalb schnell vergriffen.”
Paul spelt The Who, “Let’s See Action”, 1971
“Das erste Mal daß ich The Who im Fernsehen sah, war 1973 als sie die Single-Auskopplung von Quadrophenia spielten, “Five-Fifteen”. Pete Townshend war der Held meiner Teenager-Jahre, ich freute mich darüber, daß er so unglücklich war und daß er so viele treffende Texte darüber schrieb, wie es ist, jung und unglücklich zu sein. Das Album Quadrophenia war eine ideale Begleitung für die schwierigen Teenager-Jahre. Einer der Höhepunkte dieser Zeit für mich war ein Live Konzert von The Who in Manchester 1975. Meine Eltern wollten nicht, daß ich hingehe, weil das Stadtviertel Belvue als zu gefährlich galt. Sie erlaubten es mir schließlich doch, weil meine Freunde es auch alle durften. Merkwürdig ist nur, daß sie nie versuchten mich daran zu hindern zu Manchester United Spielen zu gehen als ich ein Teenager war. Da war die Gefahr viel größer daß mir war zugestoßen wäre, die siebziger Jahre waren die fetten Jahre für die Hooligans. Meine Eltern waren aber der Meinung, daß Fußball anständig war und Rockmusik unanständig. Und wenn ich ihnen erzählen wollte wie Rockmusik ein Spiegelbild des Lebens sein kann, hörten sie einfach nicht zu. Es war eine klassiche Situation in der Pubertät: Von Pete Townshend fühlte ich mich verstanden, von meinen Eltern nicht. Pete Townshend und The Who waren für mich der Inbegriff des Rock’n’Roll. Sie verkörperten alles was gut und auch schlecht an Rockmusik war. Gut und schlecht wie das Leben selbst.”
Paul spielt The Who – “Doctor Jimmy”, Quadrophenia 1973
“Manchester ist inzwischen die beliebteste Studentenstadt in Großbritannien. In den siebziger Jahren hatte die Stadt einen Tiefpunkt erreicht. Die Stadt ist vor 100 Jahren für ihre Baumwolle bekannt geworden und war eine der wichtigsten Städte der Welt. Als ich ein Kind war, war es mit dem Wohlstand des Manchester-Kapitalismus vorbei. Viele alte Lagerhäuser standen leer und bröckelten allmählich.
1968 gewann Manchester United den Europapokal, aber danach ging es mit dem Verein bergab. Der Starspieler George Best ruinierte seine Karriere durch Wein, Weiber und Gesang. Ich war als Kind so enttäuscht von ihm, daß kann man sich gar nicht vorstellen. Es kam mir so vor als ob er meine Kindheit ruinieren wollte. Die Veteranen Dennis Law und Bobby Chaunton waren auf dem absteigenden Ast – es waren schlechte Zeiten für United-Fans. Und wenn man heute erzählt man sei ein United-Fan, kann es einem vorgeworfen werden, daß man nur als Opportunist gilt. Man will auf der Siegerseite stehen, heißt es. Ich kann mich schon über diesen Vorwurf ärgern. Wenn die Leute wüßten, wie deprimierend die siebziger Jahre für United-Fans waren. Nick Hornby beschrieb siebziger-Jahre United-Fans in seinem Buch „Fever Pitch“ als Menschen mit „frustated grandeur“ – frustiert grandios.
Meine Freunde und ich konnten auch nicht auf die Musik der Stadt stolz sein. Es gab Barclay James Harvest und 10CC. Barclay James Harvest war größer in Ländern wie Deutschland als in England. 10CC war auch in England sehr berühmt. Meine Schwester war in einer Klasse mit der Schwester von Lol Creme, er war der 10CC Sänger. 10CC berührte mich gar nicht, aber immerhin baute die Band die Strawberry Studios die für die nächste Generation wichtig werden würden – wichtig nämlich für die Punks und Post-Punks. Die frühen siebziger Jahre waren in Manchester kulturell tot. Ich hörte zwangsläufig Musik die von reichen Kindern aus den Londoner Vororten geschrieben wurde, weil es anscheinend nichts anderes gab. Ich liebte eigentlich nur The Who, aber auf unserem Gymnasium wurde man fast dazu gezwungen, Emerson Lake & Palmer, Yes und Genesis zu hören. Es war fast wie Mathematik – ein Pflichtfach. Ich wehrte mich gegen Emerson, Lake & Palmer aber hatte meine Freude an den frühen Genesis.“
Paul spielt Genesis – “The Musical Box”, 1971, Nursery Cryme.
“Als es mit Punk und New Wave losging war es auf einmal sehr unhip, Bands wie Yes und Genesis zu mögen. In dem Alter 15,16,17 will man unbedingt hip sein. Es fiel mir zum Glück nicht schwer, mich vom Progressive Rock zu distanzieren, weil ich die pompösen Bands mit einem großen Kunstanspruch nur bedingt oder gar nicht gemocht hatte. Ich war schon immer eher ein Freund der irdischen, bodenständigen Attitüde z.B. einer Band wie Free, die ich sehr gerne mochte. Obwohl ich nicht das Gefühl loswerden konnte das der Sänger Paul Rodgers wie Neil Diamond klang. Meine Mutter mochte Neil Diamond, also fand ich den Vergleich sehr uncool. Ich war ein richtiger Fan von Free. Ich kaufte die Platten und mochte „All Right Now“ am wenigsten von ihren Songs. Die echten Free-Fans mochten „All Right Now“ nicht besonders. Der Gitarrist Paul Kossoff starb an Drogen 1976, er war das erste Rock ’n‘ Roll-Opfer daß ich mitbekommen hatte. Ich hatte ihn kurz vor seinem Tod in einem Fernsehinterview gesehen und war peinlich berührt darüber wie fertig er wirklich war.”
Paul spielt Free – ”Fire And Water”
“Das Post-Punk Label in Manchester, Factory Records, entdeckte Manchester-Bands wie Joy Division und Happy Mondays wie auch die Liverpooler Orchestral Manoeuvres In The Dark. Auf einem alten Factory Compilation Album steht ein Zitat von William Stukeley, der 1724 schrieb: „Die Einwohner von Manchester sind eine gute Sorte. Sie haben mehr oder weniger das alt-englische Naturell, sind in ihrer Zuneigung und in ihrem Ausdruck herzlich und aufrichtig sind gastfreundlich, sehr gütig und zuvorkommend ihren Freunden gegenüber, aber sehr hart und resolut ihren Feinden gegenüber. Sie sind der Religion freundlich gesonnen und sehr eifrig bemüht, ganz gleich was ihr Anliegen sein mag.“ Diese Attitüde die hier beschrieben wird, trifft ganz gut auf die Bands zu, die ab 1976 ins Leben gerufen wurden. 1976 war der Zeitpunkt der Punk-Revolution. Es gab 4 bedeutende Manchester Punk-Bands: The Buzzcocks, Magazine, Slaughter And The Dogs und The Fall. The Fall, die Band um Mark E. Smith gibt es erstaunlicherweise immer noch, und zwar in alter Frische. Und wenn man die Musik von The Fall hört, kling sie auf unspezifische Weise wie ein Spaziergang durch die Armenviertel der Stadt.”
Paul spielt The Fall – “Jung Nev’s Antidote”, 1999
“Bei welcher Band kann man schon behaupten, daß sie genau so gut oder sogar noch besser sind, als vor 22 Jahren. Ich würde das über The Fall sagen. Das ’99er Album heißt „The Marshall Suite“”
Hier ist jetzt wieder der Sound des englischen Proletariats.
Paul spielt Leatherface, „Not Superstitious“, 1991 von „Mush“
Paul spielt Billy Bragg, „An Accident Waiting To Happen“, von „Don’t Try This At Home“, 1991
Die Band Leatherface kommt aus Newcastle, sie sind der lebende Beweis dafür, daß kreativer Punk am Leben ist. Sie waren ein paar Jahre auseinander, sind aber wieder glücklich vereint. Es ist die Band um Frankie Stubbs, er ist zwar ein alter Punk, aber letztendlich ein Songwriter. Billy Bragg war für mich der „One-Man ‚Clash'“, der erste richtige Punk-Songwriter so wie Bob Dylan ein Songwriter ist.
Die erste Punkband, die ich live sah, war nicht The Buzzcocks, Magazine oder The Fall, sondern The Ramones, aber ich wusste noch gar nicht, daß es ein Punkkonzert war: The Ramones hatten lange Haare! Es war mir schon klar, daß sie sehr schnell spielten und daß die Songs sehr kurz waren, aber ich kam nicht unbedingt auf den Begriff Punk. Für mich waren sie wie eine Heavy-Rock-Version der Beach Boys.
Paul spielt The Ramones, „Sheena Is A Punk Rocker“
The Ramones waren aus New York, die Sex Pistols und Clash kamen aus London – Manchester war auf keinen Fall der Geburtsort des Punks, aber die Manchester-Version des Punks war ein Spiegelbild der echten Arbeiterklasse. Die Londoner Bands behaupteten auch alle, Arbeiterklasse zu sein, teilweise war das erfunden. Joe Strummer von The Clash z.B. gibg auf ein Internat. Es waren auch viele Kunststudenten in der Londoner Szene dabei. Slaughter And The Dogs aus Manchester waren wiederum echte Hooligans aus dem Sozialwohnungsgebiet Withenshore. Mark E. Smith von The Fall kam aus Sulford, das waren echte Arbeiterklasse-Referenzen. Sulford und Withenshore waren immer die Hochburg für Heroin.
Ich wohnte gerade noch in einer sicheren Entfernung von Withenshore. Ich mußte nur aufpassen, nicht in die verkehrte Richtung mit meinem Fahhrad zu fahren. Ich verbrachte meine Kindheit in Timperley in Süd-Manchester, Timperley ist und war niedriger Mittelstand oder gutbürgerlich Arbeiterklasse, je nachdem wie man es definieren will.
Ich war damals auch in einer Punkband „The Limit“. Es war damals fast so normal, in einer Punkband zu spielen, wie es heute üblich ist, ein Handy oder einen Internet-Anschluß zu haben. Also heute fragen Dich die Leute: „Bist Du online?“, damals in England wurde man gefragt: „Hast Du eine Punkband?“. Ich war der Sänger. Ich habe eine alte Live-Aufnahme von unserem ersten Gig herausgegraben. Es ist die einzige Aufnahme, die ich habe. Ich versuchte damals, wie John Lydon von den Sex Pistols zu klingen.
Paul spielt The Limit – „Pretty Vacant“
Das war Garangenpunk im engen Sinne des Wortes.
Nun The Smiths aus Manchester, die beliebteste Indieband im Großbritannien der achtziger Jahre. Das Album „Strangeways Here We Come“ war das letzte Album, 1987, wir hören gleich ein Stück davon. Strangeways ist das Gefängnis in Manchester, es steht direkt gegenüber von der Boddington’s Bier-Brauerei. Anegblich können die Insassen das Bier riechen. Eine Gefängnisstrafe in Strangeways ist mit Sicherheit schon deswegen schlimmer als woanders. Es gab auch vor ein paar Jahren Krawalle dort wegen unzumutbarer Bedingungen.
Paul spielt The Smiths – „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“
Pop- und Rockmusik hatten eine lange linksgerichtete politisch korrekte Tradition. Deshalb ist es um so überraschender, wenn jemand politisch inkorrekt ist. Morissey, der Sänger von den Smiths wurde verdächtigt, Rassist zu sein. Er sang Textzeilen wie „We are the last truly british people you will ever know“ im Lied „We’ll Let You Know“ und erklärte „England for the English“ im Lied „National Front Disco“. Dann gab es das Lied „Asian Rut“. Morrissey sang „Life is hard enough when you belong here“. Was man daraus hörte, war eine Frage der Interpretation. Es war nie in seinen Songs klar gewesen, in wie fern er seine persönlichen Meinungen darstellte, oder in wie fern er das Leben anderer zitierte. Ich neigte im Falle von Morrissey immer zu denken: Im Zweifel für den Angeklagten. Ich hatte keine Lust, wieder einen gefallenen Helden zu ertragen, George Best hatte mir schon gereicht. Morrissey gab nach diesen Songs keine Interviews mehr, weil er der Presse gegenüber paranoid geworden war. Aber immerhin nahm er, wenn auch indirekt, Stellung zu den Vorwürfen im Lied „Speedway“ auf dem „Vauxhall And I“-Album.
Paul spielt Morrissey, „Speedway“, 1994 von „Vauxhall And I“
Es war ursprünglich mein Plan, die Sendung streng chronologisch aufzubauen, das ließ sich aber schwer machen. Ich fing zum Beispiel mit New Order an. Morrissey mußte ich auch zum Beispiel im Zusammenhang mit Punk spielen. Aber dazwischen gab es auch viel Musik, die mir sehr wichtig war.
Die Gründung des Factory Labels Ende der siebziger Jahre war für mich auch beruflich sehr wichtig. Die Manchester-Szene drehte sich damals um Factory und vor allem um die Band Joy Division, deren Sänger Ian Curtis mit 22 Selbstmord beging. Factory und Joy Division war die Karte, auf die ich damals setzte, um beim deutschen Rundfunk zu arbeiten. Die ersten Sendungen die ich machte, war ich als Studiogast eingeladen, als vermeintlicher Experte der Musikszene in Manchester. Joy Division war schon eine großartige Band, keine Frage, aber Joy Division war schon aus arbeitstechnischen Gründen für mich wichtig und im Nachhinein kann ich nicht beurteilen, ob ich die Band doch nicht anders bewertet hätte, wenn ich sie nicht beruflich gebraucht hätte. Im Nachhinein kommt es mir vor, als ob mein Enthusiasmus vielleicht ein bisschen übertrieben war. Aber ist das nicht eine Tugend der Jugend?
Paul spielt Joy Divsion – Transmission, 1980
Joy Divsion klang halbstark und verbundbar zugleich, aber ist das nicht die Quintessenz des Rock’n’Roll? Es war schon merkwürdig, sobald ich 1980 von Manchester wegzog, wurde die Musikszene der Stadt immer interessanter. Als ich ein Teenager war, gab es vor Punk kaum vernünftige Clubs, wo man hätte hingehen können. Mit der Entstehung des Punks, verbesserte sich die Lage ein wenig. Es gab „The Russell Club“ und „The Electric Circus“, aber die öffentlichen Verkehrsmittel waren so schlimm, daß ich mich selten traute, dorthin zugehen, weil die Gefahr bestand, daß man nicht nach Hause käme.
Gewalt war leider auch immer ein Thema dort. Es war ein bisschen riskant, nach der Sperrstunde in bestimmten Vierteln in einer Schlange beim Fish ’n‘ Chips Shop zu stehen, und das ist immer noch der Fall. Ich war vor Kurzem in Manchester, da gab es einen „Twisted Nerve“ Abend. „Twisted Nerve“ ist ein neues Kult-Label aus Manchester. Nach dem Konzert gab es eine After-Show Party in Artwick. Die Bands warnten mich, auf keinen Fall zu Fuß zur Kneipe hin zu gehen, wo die Party stattfand. Die Gefahr eines Überfalls sei doch zu groß. Und wenn meine Mutter mir diese Warnung ausgesprochen hätte, dann hätte ich sie mit Sicherheit nicht ernst genommen. Aber wenn solche hartgesottenen Rock’n’Roller das sagen, nimmt man es eher ernst. Es gibt auch weniger schöne Adressen in Hamburg wo ich wohne, aber ich habe nie das Gefühl gehabt, dort in Gefahr zu sein. Vielleicht ist Manchester doch härter – vielleicht bin ich naiv, was Hamburg betrifft.
Jedenfalls Mark Burgess ex- The Chameleons wohnt inzwischen in Bremen. The Chameleons aus Manchester war eine meiner Lieblingsbands der achtziger Jahre. Noel Gallagher von Oasis aus Manchester schätze The Chameleons sehr. Man hört auch den Einfluß in der Musik von Oasis. The Chameleons war wie eine „intelligente“ Version von Oasis, ohne das Rowdytum.
Paul spielt The Chameleons – „Second Skin“, von „Script Of The Bridge“, 1983.
Es gab auch Musik aus Liverpool in den Achtzigern, die ich sehr schätzte. Es gab ein paar Bands, die die Welt hätten verändern können. Ihr Mainstream-Appeal war letztendlich nicht groß genug. Das Problem mit den Liverpoolern ist, daß sie sich immer noch nicht von den Beatles erholt haben. Es gibt immer noch einen Haufen Bands da, die wie die Beatles klingen. Das Haus wo Paul McCartney als Kind wohnte, steht unter Denkmalschutz. Man kann Eintritt bezahlen, und gucken, in welcher Ecke er „Yesterday“ schrieb!
Es gab jedenfalls The Teardrop Explodes, The Mighty Wah! und Echo & The Bunnymen in den achtziger Jahren. Julian Cope, Pete Wylie und Ian McCullough waren alle sehr starke, dominante Persönlichkeiten. Sie klangen nicht wie The Beatles. Am Anfang spielten sie zusammen unter dem Namen The Crucial Three. Es ging nicht lange gut. Cope gründete seine eigene Band The Teardrop Explodes, Wylie gründete Wah!, und McCullough Echo & The Bunnymen.
Paul spielt The Mighty Wah! – „Weekends“ von „A Word From The Wise Guy“.
Paul spielt Echo & The Bunnymen – „Show Of Strength“ von „Heaven Up Here“, 1981
Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit einem alten Schulfreund über Musik. Er meinte, früher sei die Musik besser gewesen, es gäbe keine Klassiker mehr, meinte er. Er hört die alten Genesis-Aufnahmen im Auto auf seinem Weg zum Büro. Ich versuchte ihm zu erklären, daß es immer noch dieselbe Sehnsucht in der Musik gibt, nur er ist nicht offen für diese Sehnsucht, aus welchen Gründen auch immerl Wenn er Square Music Square regelmäßig hören würde, könnte man ihn vielleicht überzeugen…
Paul spielt The Teardrop Explodes – „Tiny Children“, 1981
Das war die Sendung „On The Tracks“ auf Bremen 2 mit Paul Baskerville.
Buffalo Tom – „Taillights Fade“ von „Let Me Come Over“, 1992
Ich wünsche Euch eine Gute Nacht!