„Musikarbeiter“ – taz, 1992

taz

Musikarbeiter

Sie sind die grauen Eminenzen im Musikgeschäft: In einer Porträt-Serie stellen wir Musikarbeiter in Agenturen, Plattenfirmen und Medien, aber auch Plakatkleber, Roadies und Tontechniker vor.

PAUL BASKERVILLE – RADIOMODERATOR BEIM NDR

“Bestimmte Leute sind der Meinung, daß das, was ich mache, so eine Art `eitle Scheiße´ ist”, verkündet NDR-Alternativ-Moderator Paul Baskerville nicht ohne Stolz. Mitte der Achtziger entfloh der gebürtige Engländer seiner Heimat, promotete die frühen Simple Minds und landete schließlich beim Norddeutschen Rundfunk. Obwohl sein Arbeitgeber nicht unbedingt für Experimentierfreudigkeit bekannt ist, kann sich Paul Baskerville seit nunmehr acht Jahren relativ ungestört um abseitige, meist neue englische und amerikanische Musik kümmern und Sendungen moderieren, die ihresgleichen suchen. Für oberflächliche Berieselung hat er nicht viel übrig: “Ich kann diesen `Gut-Drauf-Terrorismus´ im Rundfunk kaum ertragen.”

Daß er ab und an auch mal laut nachdenkt, veranlaßt einige Zeitgenossen zu oben zitierten Bemerkungen.

Baskerville kann das nicht vestehen: “Ich finde es verwunderlich, daß es für viele Leute eine abstrakte Vorstellung ist, daß die Moderation einer Musiksendung ein bißchen Tiefgang hat. Ich bin häufig dafür kritisiert worden, daß ich mein Innerstes nach außen gekehrt habe. Ich finde, das ist das Normalste auf der Welt.”

Tiefgang hin, Tiefgang her – ob nun bei Musik für junge Leute, Kopfhörer, Off-Beat oder No Wave, man hat oft den Eindruck, es mit einer Art Psychopathen-Funk zu tun zu haben. Häufig sehr ruhige bis depressive Musik, ein kleines Zitat aus der Welt der Literatur und – bei No Wave – dann kurz vor Mitternacht noch ein verhaltenes “Ich wünsche Euch eine gute Nacht”. Da kann man schon ins Grübeln kommen.

“Das mit den Psychopathen stimmt. Das Publikum meiner No Wave-Sendungen war wohl lebensunfähig”. Doch Paul Baskerville ist dem Untergrund nicht zwanghaft verpflichtet und will sich nicht als “Punk-Extremist, der nie erwachsen geworden ist”, mißverstanden wissen: “Ich habe nie etwas gegen Mainstream-Kultur gehabt. Ich habe nur dann etwas dagegen, wenn der Mainstream Minderheiten-Kultur verdrängt. Unangepaßte Menschen und unangepaßte Musik müßten durchaus präsentiert werden können – auch in einem größeren Rahmen. Heutzutage dominieren die Privatsender mit ihrer Micky-Maus-Kultur.”

Die Auswirkungen dieser auf die Hörgewohnheiten spürt er ganz besonders: “Die Zeit der enthusiastischen Hörer ist vorbei.”

Paul Baskerville ist wie kaum ein anderer mit Leib und vor allem mit Seele dabei: “Ich will eigentlich nur Rundfunk machen. Ich habe keine Lust zu schreiben, in einem Plattenladen zu arbeiten oder eine Kneipe auf dem Kiez zu eröffnen. Wenn ich dann mal keine Sendungen mehr habe, werde ich ganz schön alt aussehen.” Kann man nur sehr hoffen, daß Micky Maus nicht eines Tages zur Monster-Maus mutieren und ihn mit Haut und Sendungen auffressen wird.

Gregor Gerlach

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